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Norman Bruderhofer:
Der Walzenwegweiser

Braune Wachswalzen

Edison-Walze aus braunem Wachs, 1899

Braune Wachswalzen stellen die Urform der Edison-Wachswalze dar und wurden erstmalig 1888 hergestellt. Die Idee der Wachswalze ist jedoch nicht Edison zuzuschreiben, sondern beruht auf den Entwicklungsarbeiten von Chichester Bell und Charles Sumner Tainter und wurde von Alexander Graham Bell finanziert. Statt Zinnfolie kam man 1884 auf die Idee, eine Wachsmischung einzusetzen. Ihre Phonographen (und später auch Grammophone) nannten sie Graphophone, ein simples Wortspiel. 1886 stellten Bell und Tainter ein vollständiges Diktiersystem vor, das auf mit einer dünnen Wachsschicht überzogenen Pappwalze Aufzeichnungen von mehreren Minuten machen konnte. Auch hier war der angedachte Einsatzort das Büro und Tainters Bemühungen nach einer Kooperation mit Edison blieben erfolglos, da dieser unter keinen Umständen mit Alexander Bell und "seinen Piraten" Geschäfte machen würde. Nach 10 Jahren brachliegender Entwicklung war ihm nun deutlich geworden, daß er "sein Baby" bei weiterer Untätigkeit verlieren würde.
1888 stellte Edison in einer ageblichen 72-Stunden-Schicht seinen eigenen verbesserten Phonographen fertig, der interessanterweise ebenfalls mit Wachswalzen arbeitete. Der Grundlegende Unterscheid war, daß die Walze nun vollständig aus Wachs bestand und aufgrund ihrer Stärke von etwa 6mm mehrmals abgeschliffen und wiederbespielt werden konnte - ein wahrhaft genialer Schachzug. Aufgrund gegenseitiger Patentansprüche blieb es zwischen Bell und Edison weitestgehend bei einem "kalten Wirtschaftskrieg" der hauptsächlich in Form von Konkurrenzproduktion ausgetragen wurde. Dabei gewannen die Graphophone-Geräte und die unter der Firma Columbia gefertigten Walzen eine entscheidende Bedeutung für den Unterhaltungsmarkt.
Edisons Format von 1888 setzte sich dabei als einheitlicher Standard durch.

Ein überwiegender Anteil kommerzieller Aufnahmen wurde bis in die Mitte der 1890er Jahre durch Direktaufnahmen produziert, d.h. der Kunde erhielt normalerweise eine Originalaufnahme. Schon sehr früh suchte man nach Kopiermöglichkeiten um die Gewinne zu erhöhen, da die Künstlergagen lediglich nach Aufnahmesitzung bezahlt wurden. Eine Großindustrie kostenintensiver Verwertungsgesellschaften bestand noch nicht. Erste Versuche bestanden darin, einen abspielenden Phonographen über einen Gummischlauch mit einem aufzeichnenden Phonographen zu verbinden. Die Klangqualität dieser Kopien war alles andere als zufriedenstellend, jedoch gut genug um sie zu verkaufen.
Eine brauchbare Lösung fand sich im sog. pantographischen Kopierverfahren bei dem mittels einer speziellen Kopiemaschine die vorbespielte Walze abgetastet und deren Amplitude analog auf eine Leerwalze aufgezeichnet wurde. Die Klangqualität war so schon deutlich besser und durch entsprechende Justage ließ sich sogar eine leichte Tonverstärkung erzeugen. Von einer Originalwalze ließen sich so ungefähr 100 Kopien in verkaufsfähiger Qualität anfertigen.
Elektrische Verstärkung existierte auf viele Jahre hinaus noch nicht.


Braune Wachswalze der Columbia Phonograph Company, 1899

Braune Wachswalzen wurden kommerziell ab 1902 durch die von Edison eingeführten Goldgußwalzen (auch Hartußwalze genannt) abgelöst. Die letzten kommerziell bespielten Walzen aus braunem Wachs wurden vorwiegend in Europa von kleinen Labels bis etwa 1906 gefertigt. Eine verläßliche Datierung ist daher nur mit enstprechenden Firmendiskografien oder anderen Referenzen möglich.
Oft wurden auch pantographische Kopien verkaufsfördernd als Originalaufnahmen angepriesen, eine klare Täuschung des Kunden. Columbia stellte im Zeitraum von 1902 bis 1904 auch Gußwalzen aus braunem Wachs her, stellte dann aber auf den schwarzen Hartguß um.

Pantographieren einer späteren Goldgußwalze auf eine braune Leerwalze
Edison Studio-Pantograph, ca. 1899
Hier im Testbetrieb abgebildet mit einer Goldgußwalze von 1907
die auf eine neue braune Leerwalze kopiert wird.

Hören Sie hier den Vergleich in Stereo (Links: Kopie, Rechts: Original)

Als angedachtes Luxusprodukt führte Columbia 1898 ein eigenes Walzenformat mit 5" im Durchmesser ein. Diese sog. Grand Graphophone Walzen benötigten entsprechende Phonographen und boten ebenfalls nur die gleiche Aufnahmekapazität von 2 bis 3 Minuten. Durch die erhöhte Oberflächengeschwindigkeit wurde die Wiedergabelautstärke und Klangfülle deutlich verbessert. Edison zog ein Jahr später mit seinen Concert-Walzen nach. Das Format konnte sich aber nicht etablieren. Der Preis betrug teilweise über das Doppelte einer Standardwalze und auch die Handhabung war umständlicher. Mit Einführung der Goldgußwalzen war der Klangvorteil auch nicht mehr gegeben und die separate Produktion wurde ebenfalls 1902 eingestellt. Auch andere Hersteller wie Lambert, Pathé (Frankreich) oder Edison-Bell (England) boten für einige Jahre Concert-Walzen an, blieben aber auch entsprechend erfolglos. Besitzer von Concert-Phonographen konnten jedoch noch 1909 Walzen aus den aktuellen Katalogen bestellen, diese waren dann aber nur noch pantographische Kopien einer Standardwalze, natürlich so ohne Klangvorteile.

Rechtschreibfehler: "Graphaphone" statt "Graphophone"
"Graphaphone" statt "Graphophone":
Rechtschreibfehler im eigenen Produktnamen auf
Columbias Walzenboxen, der mehrere Jahre unentdeckt blieb.

Gebrauch und Handhabung

Braune Wachswalzen sind besonders empfindlich, denn als direktbespielte Walzen ist das Wachs weicher als das der späteren Gold-/Hartgußwalzen aus schwarzem Wachs. Auf Phonographen sollten diese Walzen möglichst wenig gespielt werden, da sie sich vergleichsweise schnell abnutzen und sich so der Rauschabstand merklich verringert. Im Effekt wird die Aufnahme also mit jedem Abspielvorgang konsequent leiser. Vieler dieser Walzen haben daher oder auch schon durch die unausgereifte Aufnahmetechnik eine sehr geringe Wiedergabelautstärke. Hier bietet sich die Digitalisierung mittels moderner Abtastsysteme mit deutlich geringerem Auflagegewicht an.

Ab einer Umgebungstemperatur von über 25°C sollten diese Walzen nicht auf einem Phonographen abgespielt werden, da sich die Abnutzung bei Wärme deutlich erhöht.

Für das mechanische Abspielen mit einem Edison-Phonographen darf nur eine geeignete Schalldose verwendet werden. Generell eigenen sich für braune Wachswalzen die Schalldosen vom Typ Automatic und Model B (nicht Diamond B!). Spätere Schalldosen wie die weit verbreitete Model C haben einen ungeeigneten Saphir in Türknaufform und sollten ebenso wie Model K, H und O nicht mit braunen Wachswalzen verwendet werden! Vergewissern Sie sich unbedingt vor dem ersten Test, da der Gebrauch einer falschen Schalldose im schlimmsten Fall bereits beim ersten Versuch einen bleibenden Schaden an der Walze hinterläßt!

Aufgrund der langen Produktionsspanne finden sich sämtliche denkbaren Abspielgeschwidgkeiten vor, die in nahezu allen Fällen zwischen 90 und 185 UpM liegen. Oft liegt die passende Geschwindigkeit jedoch zwischen 120-160 UpM. Obgleich es häufige Standardgeschwindigkeiten von 120, 125, 140, 144 und 160 UpM gab, so sind diese gerade bei braunen Wachswalzen eher willkürlich gewählt. Für eine genaue Justage bedarf es eines guten Gehörs und geduldiger Tonlagenvergleiche. Nicht selten ergeben sich so korrekte Umdrehungsgeschwindigkeiten von beispielsweise 136 UpM.

Schimmelpilzbefall auf einer braunen WachswalzeEin Problem welches alle Wachswalzen betrifft ist der Befall durch Schimmelpilze. Dieser wird durch Feuchtigkeitsstau in der Walzenbox bzw. allgemeinem "Kellerklima" stark begünstigt. Problematisch ist der Schimmelbefall, weil der Pilz sich meist auf der Rillenoberfläche niedergelassen hat und sich dort vom Wachs ernährt. Dabei werden die befallenen Rillenbereiche unwiederbringlich zerstört und hinterlassen eine mikroskopische Mondlandschaft. Bei der Wiedergabe ist ein deutliches Kratzen oder Rauschen zu vernehmen. In der Regel ist der Schimmelpilz bereits abgestorben und nicht mehr wiederbelebbar. Pilzsporen sind jedoch praktisch allgegenwärtig und eine Wachswalze läßt sich auch nicht sterilisieren. Deshalb es sollte tunlichst auf allgemeines Wohnraumklima geachtet und den Walzen eine gewisse Lüftungsmöglichkeit gegeben werden, indem der Deckel einer Walzenbox nicht vollständig geschlossen wird. Alternativ bieten sich kleine Päckchen mit Feuchtfresser (sog. Silica Gel) an. Diese können mit der Walze in ihrer verschlossenen Box aufbewahrt werden und verhindern so aktiv die Feuchtigkeitsbildung. Schimmelpilzbefall erkennt man leicht an hellbraunen bis weißen Flecken (siehe Abbildung). Bei sehr starkem Befall kann auch die gesamte Walzenoberfläche einen derartigen Belag aufweisen. Bei entsprechendem Raumklima ist die Aufbewahrung einer Walze in deren Originalbox bei entsprechendem Zustand unproblematisch. Für besondere Zwecke sind auch neue Archiv-Boxen aus säurefreiem Karton erhältlich. Diese eignen sich aber in der Regel nicht für den Transport.


Schnelle Temperaturschwankungen müssen auf jeden Fall vermieden werden, andernfalls führt dies schnell zu Haarrissen und somit zum wirtschaftlichen Totalschaden einer Walze. Die Rillenoberfläche darf generell bei keiner Wachswalze berührt werden. Ein hinterlassener Fingerabdruck kann mit dem Wachs über einige Wochen oder Monate reagieren und hörbare Flecke hinterlassen. Diese Flecke lassen sich dann nicht mehr entfernen.



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