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Norman Bruderhofer's Cylinder Archive
Quellenartikel

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Verlag für phonographische Themenbereiche


Emile Berliner und sein Grammophon
 
von Stephan Puille, Berlin, Germany


Übersetzter und erweiterter Text meines Vortrages, gehalten am 28. Mai 2011 im Rahmen des 12. Diskografentags der Gesellschaft für historische Tonträger (GHT) in Hildesheim.

Im Folgenden beschreibe ich Emile Berliners Erfindung des Grammophons und seinen Anteil an dessen Weiterentwicklung und wirtschaftlicher Nutzung bis 1902. Ich betone dabei die Unterstützung die er von seinen Mitarbeitern erhielt.

Emil Berliner, geboren am 20. Mai 1851 in Hannover, kam als mittelloser Einwanderer im Mai 1870 in den USA an. Sieben Jahre später, mit geändertem Vornamen weil ihm „Emile“ besser gefiel, und nach dem Verkauf eines Patentes an die Bell Telephone Company aus Boston, war aus Berliner ein wohlhabender Geschäftsmann geworden, verheiratet mit der aus Washington stammenden Cora Adler.   

Im Jahr 1885 ließ Emile Berliner ein großzügiges Wohnhaus in Washington bauen. Er richtete sich im Obergeschoß ein Laboratorium ein und beschäftigte sich mit der Lösung allerlei technischer Probleme. Den entscheidenden Anstoß für das Grammophon erhielt er von Charles Sumner Tainter. Als Hersteller von wissenschaftlichen Instrumenten wurde Tainter im Oktober 1879 Mitglied von Alexander Graham Bells Volta Laboratorium. Er widmete sich dort besonders der Verbesserung von Edisons Zinnfolienphonograph, was ihm nach jahrelanger Forschungsarbeit auch gelang. Tainter besuchte das nahe dem Volta Laboratorium gelegene Washington im Juli 1886 und zeigte in öffentlichen Vorführungen das Ergebnis seiner Arbeit, ein Gerät zum Aufzeichnen von Tönen auf eine rotierende, mit wachsartiger Masse überzogene Walze aus dünner Pappe. Das so genannte Graphophon mit Tretantrieb wie bei einer Nähmaschine erregte nicht nur bei Emile Berliner einiges Aufsehen. Thomas Alva Edison sah sich durch dieses Gerät herausgefordert seinen Phonographen grundlegend zu überarbeiten. Aber das ist eine ganz andere Geschichte auf die ich hier nicht eingehe.

Berliner hatte anfangs noch keinen Namen für seine Erfindung die noch ganz anders aussah als das, was wir uns heute unter einem Grammophon vorstellen. Zum Aufzeichnen von Tönen verwendete Berliner einen berußten Papierstreifen der um eine Walze gewickelt war. Abspielbar wurden die im Papierstreifen eingeritzten Tonrillen in Seitenschrift, die unter dem Mikroskop wie Schlangenlinien aussehen, erst nach fototechnischer Übertragung auf eine Kupferplatte durch den Washingtoner Graveur Maurice Joyce. Die parallelen Rillen in der fotogravierten Kupferplatte fuhr Berliner mit einem umgebauten Telefonhörer ab. Er erzeugte dabei recht laute, aber unverständliche Töne die ihn trotzdem ermutigten weiter zu machen. Die älteste erhaltene Aufnahme aus dieser Zeit, Auszüge der Unabhängigkeitserklärung und eine Zahlenreihe, sprach Berliner im April 1887. Er hatte sofort erkannt dass in der Lautstärke ein großer Vorteil seiner Erfindung gegenüber Tainters Graphophon lag.

Am 4. Mai 1887 hatte Berliner einen Patentantrag eingereicht, der vor der Patenterteilung geändert und dessen vollständiger Inhalt heute leider unbekannt ist. Nachdem er zunächst zwischen Creophon und Phonautophon geschwankt hatte wählte er im Patentantrag die Bezeichnung Grammophon für seine Erfindung. Der 4. Mai 1887 gilt deshalb heute als eigentlicher Geburtstag des Grammophons. Am 17. Mai 1887 hörte Emile Berliner erstmals deutlich gesprochene Worte von einer Kupferplatte und hielt dieses Ereignis auf einem Dokument fest das er und seinen Frau unterschrieben.

In einem neuen Versuchsaufbau der Ende Mai fertig gestellt war, sprach Berliner zum ersten Mal auf eine runde Schallplatte. Diese bestand aus Glas und war einseitig mit Druckerschwärze beschichtet. Die Platte wurde in eine Vorrichtung eingespannt und mit Hilfe eines Gewichtsmotors in Drehung versetzt. Beim Einritzen in die Druckerschwärze auf der Unterseite der Glasplatte schob der spiralförmig vom Außenrand nach innen geführte Aufnahmestichel die Farbschicht bis auf die Glasoberfläche weg. Mit Hilfe eines aufwändigen Prozesses aus über einem Dutzend Einzelschritten übertrug Berliner die Aufnahme von der Glasplatte auf eine abspielbare Schallplatte aus graphitiertem Siegelwachs, welche auf ihrer Rückseite mit einer Gipsschicht verstärkt war.

Ein Exemplar aus diesem fragilen Material hat sich verständlicherweise nicht erhalten, jedoch ein Zwischenprodukt des Übertragungsprozesses, eine gegossene Schallplattenmatrize aus einer Blei-Antimon-Legierung mit einer Tonaufnahme vom 21. Juni 1887. Diese Matrize wurde verwendet um galvanoplastische Kopien aus reinem Kupfer herzustellen. Eine davon trägt ein Aufnahmedatum vom 17. Juli 1887. Sie kommt dem Ziel einer widerstandsfähigen Schallplatte schon recht nahe, war allerdings für die Massenherstellung viel zu aufwändig und zu teuer herzustellen.

Berliner teilte den oben beschriebenen Patentantrag vom 4. Mai 1887 und reichte ihn am 26. September 1877 in gekürzter Form erneut ein. Mit Erfolg, das U.S. Patent mit der Nummer 372,786 wurde am 8. November 1887 erteilt. Am selben Tag meldete Emile Berliner seine Erfindung unter dem Namen „Verfahren und Apparat für das Registrieren und Wiederhervorbringen von Tönen“ auch in Deutschland an. Das Deutsche Reichspatent Nummer 45048 wurde am 8. November 1888 erteilt und erlosch am 7. November 1902 nach Erreichen seiner maximalen Gültigkeitsdauer von 14 Jahren. Wegen der von Jahr zu Jahr steigenden Gebühren wurden nur die wertvollsten Patente so lange gehalten. Berliner meldete am 16. Mai 1888 und am 20. November 1889 zwei weitere Patente in Deutschland an, die unter der Nummer 47099 bzw. 53622 erteilt wurden. Sie waren lediglich Zusatzpatente zum Hauptpatent Nummer 45048 und kosteten deshalb keine jährlichen Gebühren, verfielen jedoch gleichzeitig mit dem Hauptpatent.    

Ende 1887 richtete Berliner ein Laboratorium außerhalb seines Wohnhauses ein und stellte einige Hilfskräfte sowie den aus Leipzig stammenden, zu diesem Zeitpunkt bereits über sechzig Jahre alten Mechaniker und Modellmacher Werner Suess als Werkstattleiter an. Werner Suess hatte in Deutschland und Amerika bereits für berühmte Wissenschaftler gearbeitet, darunter den Chemiker Robert Wilhelm Bunsen sowie die Physiker Hermann von Helmholtz und Joseph Henry. Es war Suess der im Februar 1888 den Vorschlag machte die Tonaufzeichnungen in eine Zinkschallplatte zu ätzen. Die polierte Oberseite einer Schallplatte aus Zinkblech wurde zunächst mit einer dünnen Schicht aus in Benzol gelöstem Bienenwachs überzogen. Nach dem Verdunsten des Lösemittels schabte ein Stichel bei der Aufnahme die Schallrille bis zum blanken Metall in die dünne Wachsschicht. Dieser Vorgang fand im Alkoholbad statt, damit die Wachsspäne nicht am Stichel kleben blieben und die Schallrille beeinträchtigten. Beim anschließenden Ätzvorgang, der etwa 20 Minuten in Anspruch nahm, wurde die von Wachs nicht bedeckte Schallrille eingeätzt. Die fertige Schallplatte war direkt abspielbar. Sie konnte auch galvanoplastisch kopiert werden um eine Pressmatrize zu erhalten.

Am 17. März 1888 patentierte Berliner sein neues Aufnahme- und Vervielfältigungsverfahren. Es fehlte noch ein funktionsfähiges Wiedergabegrammophon um die Platten abspielen zu können. Wieder war es Werner Suess der einen entscheidenden Verbesserungsvorschlag machte. Er entwarf einen schwenkbaren Arm an dessen Ende eine Wiedergabeschalldose in einem flachen Bogen von außen nach innen über die Schallplatte bewegt wurde. Die Schalldose wurde dabei nicht wie beim Phonographen mit Hilfe einer Leitspindel, sondern allein durch die Flanken der Schallrille über die Schallplatte geführt. Berliner fand diesen Vorgang, der sein Grammophon grundlegend vom Phonographen unterschied, offenbar so selbstverständlich dass er zunächst vergaß ihn in seinem Patent aufzunehmen.

Unausgereift wie die Erfindung noch war stellte Emile Berliner das Grammophon zum ersten Mal am 16. Mai 1888 im Franklin Institut in Philadelphia der Öffentlichkeit vor. Werner Suess begleitete ihn. Der Vortrag mit Lichtbildern von der Laterna Magica ergänzt durch Vorführungen des Aufnahme- und Abspielvorgangs von Schallplatten war ein großer Erfolg.

Um zu testen ob die Herstellung von Pressmatrizen zum Erfolg führen könnte, kontaktierte Berliner im August 1888 einen der Erfinder des Zelluloids, John Wesley Hyatt. Dieser formte zunächst eine Pressmatrize aus Pappmaschee von einer geätzten Zinkschallplatte ab, und presste damit mindestens drei Schallplatten auf dünnen Zelluloidscheiben die zuvor mit heißem Wasser plastisch gemacht worden waren. Eine dieser ersten gepressten Schallplatten der Welt ist noch erhalten, aber noch niemals mit modernen Methoden abgespielt worden.  

Offenbar war das akustische Ergebnis unbefriedigend und Berliner probierte in den folgenden Monaten noch andere Methoden, um kostengünstige aber dennoch gut spielende Schallplattenkopien herzustellen. Überliefert ist der Versuch, Schallplatten auf opakem Weißglas sowie, im Juli 1889, unter Beteiligung der in New York ansässigen Indian Rubber Comb Company, auf Hartgummi zu pressen. Keiner dieser Versuche verlief erfolgreich. Hinzu kam, dass Edisons verbesserter Phonograph, zusammen mit dem Eiffelturm gefeierter Mittelpunkt der Pariser Weltausstellung, weltweit gerade auf dem Gipfel seiner Popularität stand. Niemand schien sich in Amerika für das Grammophon zu interessieren, dessen Patentrechte Berliner verschiedenen Investoren für 40.000 Dollar angeboten hatte. Keiner sah die konstruktiven Vorteile die diese Erfindung gegenüber dem Phonographen zweifellos aufwies.

Emile Berliner musste erkennen dass er in seiner neuen Heimat auf der Stelle trat und dringend Hilfe von Spezialisten benötigte, um seine Erfindung zur Marktreife zu bringen. Er hatte den Kontakt nach Hannover immer gepflegt, insbesondere zu seinem Bruder Joseph der dort unter Nutzung von Emiles Patenten eine gut gehende Telephonfabrik betrieb. Ende August 1889 verließ das Ehepaar Berliner, begleitet von ihren Kindern Herbert, Edgar, Hannah und Oliver, an Bord des Dampfseglers “Hermann” Amerika. Sie wurden von ihren Verwandten herzlich aufgenommen und blieben ziemlich genau ein Jahr in Deutschland. Umgehend nach seiner Ankunft ließ Emile in der Fabrik seines Bruders das Aufnahme- und Wiedergabegrammophon nach seinen Bedürfnissen gründlich mechanisch überarbeiten. Zudem richtete er unter der Berufsbezeichnung “Elektriker” in Gehweite seiner Wohnung ein Laboratorium ein, in dem er das Aufnahme- und Ätzverfahren üben und verbessern konnte.

Im Oktober 1889 machte er mit Mitgliedern des Hannoverschen Männer-Gesang-Verein von 1851 Schallplattenaufnahmen für die erste öffentliche Vorführung des Grammophons in Hannover. Der Erfinder hatte zu diesem Zweck bereits eine Einladung des örtlichen Architekten- und Ingenieurvereins angenommen. Es entzieht sich derzeit meiner Kenntnis ob diese erste Vorführung in Deutschland tatsächlich wie geplant stattfand.

Es war eine glückliche Fügung dass Emile im November 1889 auf Louis Rosenthal traf. Der Leiter einer Firma für Metallätzung aus Frankfurt am Main hielt sich in Hannover nur zu Besuch auf, war aber vom Grammophon sofort fasziniert. Es fiel Berliner leicht ihn gegen das Versprechen einer Gewinnbeteiligung für die Entwicklungsarbeit an einem guten und gleichzeitig kostengünstigen Vervielfältigungsverfahren für Schallplatten zu begeistern. Rosenthal war nicht sicher ob er Erfolg haben würde, versprach aber sein Möglichstes zu tun.

Für Anfang Januar 1890 mietete Emile das Foyer des Belle-Alliance-Theaters in Berlin und stellte zwei Hilfskräfte ein, die nach einer ersten Vorführung für die Presse und geladenen Gästen das Grammophon zwischen 10 Uhr morgens und 10 Uhr abends halbstündlich gegen Eintritt zeigten. Begleitend erschien ein Fortsetzungsartikel über die Technik des Grammophons in einer populärwissenschaftlichen Zeitschrift sowie ein von Berliner selbst verlegtes Heftchen mit einer gründlichen Erläuterung der Erfindung zur Verteilung an zahlende Besucher. Die ersten Presseberichte waren durchaus positiv, die lebensechte, laute Wiedergabe aus dem neu entwickelten großen Schalltrichter wurde gelobt. Berliner erregte immerhin so viel Aufmerksamkeit dass der damals berühmteste deutsche Wissenschaftler, Hermann von Helmholtz, das Grammophon im Rahmen einer Privatvorführung vor Mitgliedern der von ihm geleiteten Physikalischen Reichsanstalt sehen und hören wollte. Das Zusammentreffen mit von Helmholtz war für Emile Berliner der persönliche Höhepunkt seines Aufenthaltes in Deutschland.  

Vielleicht auch wegen der gerade grassierenden Grippewelle verlor sich jedoch kaum ein Besucher bei den Grammophonkonzerten. Nach einigen Wochen fand man in einem Laden neben der Passage Panopticum an der Friedrich-/ Ecke Behrenstraße im Zentrum Berlins einen geeigneteren Ort mit mehr Laufkundschaft. Während das Grammophon öffentlich gezeigt wurde und dringend benötigtes Kapital einspielte, versuchte Berliner deutsche Investoren für die Serienfertigung zu finden. Er war ständig geschäftlich unterwegs und hatte im Frühjar 1890 endlich Erfolg, als Ernst Kämmer und Franz Reinhardt von der offenen Handelsgesellschaft Kämmer & Reinhardt, einer Spielwarenfabrik in Waltershausen in Thüringen, ernsthaftes Interesse bekundeten. Sie erwarben schließlich die Lizenz zur Herstellung sprechender Puppen und Errichtung einer Grammophonfabrik nach Berliners Reichspatent 45048.

Berliner verpflichtete sich ein Modell als Vorbild für die Serienfertigung anzufertigen. Als Besonderheit der Konstruktion die Berliner schließlich ablieferte waren Schwungrad und Antriebsrad erstmals getrennt und nebeneinander angebracht sowie mit einem Treibriemen untereinander verbunden. Mit etwas Übung war es jetzt besser möglich eine einigermaßen konstante Abspielgeschwindigkeit der Schallplatte auf dem Plattenteller einzuhalten, was für die Klangqualität ganz entscheidend war. Das Modell von Frühjahr 1890 prägte für die nächsten Jahre das Erscheinungsbild des Grammophons. Da Emile keine Erfahrung mit der Konstruktion von Sprechpuppen hatte, überließ er ihre Entwicklung der Spielwarenfabrik, deren Besitzer im Mai 1890 die Grammophon-Spielwaren-Fabrik Kämmer, Reinhardt & Co. in das örtliche Handelsregister eintragen ließen. Das “Co.” steht dabei aller Wahrscheinlichkeit nach für Julius Heinrich Zimmermann aus Leipzig, einen Fabrikanten und Vertreiber von Musikwaren, der dem Grammophon zeitlebens verbunden blieb obwohl er anfangs viel Geld damit verlor.

Was jetzt noch fehlte waren massenhaft gepresste Schallplatten. Ungefähr im Juni 1890 war Louis Rosenthal so weit dass er Berliner und den Investoren eine fehlerfreie Pressmatrize aus vernickeltem Kupfer präsentieren konnte. Mit dieser Matrize ließ sich eine große Anzahl von identischen Kopien in eine durch Erhitzen plastische Masse pressen die nach dem Abkühlen sehr hart wurde. Emile Berliner hatte während seines Aufenthaltes in Hannover einige hundert Schallplattenaufnahmen angefertigt. Von diesen geätzten Zinkplatten wurden nun nach Rosenthals Methode Pressmatrizen hergestellt.

Rosenthal ließ zudem testweise Schallplatten aus Hartgummi und Zelluloid herstellen und betrieb in Frankfurt am Main ein Aufnahmestudio um den Schallplattenkatalog zu vergrößern. Aus mir unbekannten Gründen entschied sich die Grammophon-Fabrik schließlich für Zelluloid als Pressmaterial, vielleicht weil man damit seit Jahren gute Erfahrungen gemacht hatte. Die Rheinische Gummi- u. Celluloid-Fabrik Neckarau-Mannheim welche den Auftrag zur Herstellung der im Durchmesser etwas über zwölf Zentimeter kleinen Schallplatten erhielt, belieferte die Spielwarenfabrik seit längerem mit Puppenköpfen aus Zelluloid. Die ersten Zelluloidschallplatten waren hellgelb eingefärbt, jedenfalls schließe ich das von dem einzigen erhaltenen Exemplar aus diesem Material. Ab August 1890 versandte die Grammophon-Spielwaren-Fabrik Kämmer, Reinhardt & Co. Werbeschriften und nahm Bestellungen für Grammophone und Schallplatten auch in großen Stückzahlen für das Weihnachtsgeschäft entgegen. Ziel war die weltweite Vermarktung mit Ausnahme von Nordamerika wo Berliner das Grammophon selbst herstellen lassen und vertreiben wollte.

Zelluloid war jedoch zu weich für die scharf geschliffene Stahlnadel der schweren Grammophonschalldose. Ab Anfang 1891 wurden die Pressungen in tiefschwarz glänzendem Hartgummi ausgeführt. Die Schallplatten steckten in einer Papierhülle mit farbigem Aufkleber für den Plattentitel und den gesungenen oder gesprochenen Text. Die aufgenommenen Interpreten waren stets anonym. An der Farbe des Aufklebers konnte man erkennen für welches Land die Platte aufgenommen worden war. Auch auf der Schallplattenrückseite war der Aufkleber angebracht.

Bevor Emile Berliner Ende August oder Anfang September 1890 Hannover in Richtung Amerika verließ, setzte er seinen Bruder Jacob notariell als rechtlichen Vertreter in allen Dingen welche das Grammophon betrafen ein. Dazu gehörte insbesonders die jährliche Zahlung der Patentgebühr.

Am 16. Dezember 1890 zeigte Berliner das verbesserte Grammophon im “Institute of Electrical Engineers” in New York. Er versuchte nach deutschem Vorbild eine Produktions- und Vertriebsorganisation in den USA aufzubauen was ihm jedoch zunächst nicht gelang. In diese Zeit fällt der Antrag für ein wichtiges Patent welches erstmals festhielt dass die Grammophonnadel beim Abspielen der Schallplatte alleine von den Flanken der Schallrille vorwärts bewegt und dabei in Vibration versetzt wird. U.S. Patent 534,543 wurde am 30. März 1892 angemeldet und am 19. Februar 1895 erteilt.

Berliner ließ im Jahr 1892 eine kleine Serie von Schallplatten aus schwarzem Hartgummi für seine Vorführungen herstellen und gründete, unterstützt von seiner Familie und von Freunden, im April 1893 die United States Gramophone Company. Er übertrug der neuen Gesellschaft, der er als Präsident vorstand, alle seine Patentrechte und gab Aktien aus, verlor jedoch zunächst viel Geld mit dieser Unternehmung. Im Frühling 1894 begann er ein Repertoir von neuen Schallplatten aus Hartgummi im vergrößerten Format von siebzehn Zentimetern aufzunehmen und öffnete im Herbst desselben Jahres einen kleinen Laden in Washington. Neben den Schallplatten, sein erster Katalog von November 1894 listete nur 49 verschiedene Aufnahmen, verkaufte er handbetriebene und einige wenige elektrisch betriebene Grammophone.

Um dringend benötigtes Kapital über die Verkäufe von Aktienanteilen zu erhalten, lizensierte Emile Berliner die am 8. Oktober 1895 gegründete Berliner Gramophone Company, seine Patente für die USA, mit Ausnahme des Bundesdistrikts District of Columbia zu nutzen. Berliner war in dieser Gesellschaft nur Minderheitenaktionär. Die Geschäftssituation verbesserte sich im Oktober 1896 erheblich. Damals führten drei Faktoren schließlich zum Durchbruch des Grammophons in Amerika:

1. Die Montross Metal Shingle Company lieferte die ersten einhundert Motoren für ein neu konstruiertes Grammophon mit Federmotorantrieb, welches von Eldridge Reeves Johnson aus Camden gebaut und ständig verbessert wurde.
2. Berliner erhielt Schallplatten aus Gesteinsmehl und Baumwollfasern mit Schellack als Bindemittel, hergestellt von der Duranoid Company aus Newark. Die neuen Schellackplatten klangen besser und waren wesentlich widerstandsfähiger als Hartgummiplatten.  
3. Frank Seaman, ein genialer Werbestratege der vorher für die Eastman Kodak Company gearbeitet hatte, übernahm den Alleinvertrieb von der Berliner Gramophone Company für den Zeitraum von fünfzehn Jahren.

Emile Berliner als Patentinhaber und die Berliner Gramophone Company als Lizenznehmer befanden sich nun in einer komfortablen Situation. Sie gaben die von Eldridge Johnson und der Duranoid Company hergestellten Grammophone und Schallplatten mit erheblichem Preisaufschlag an Frank Seamans National Gramophone Company weiter. Seaman warb seinerseits landesweit mit bebilderten Anzeigen und mit schnell wachsendem Erfolg für das Grammophon.

Anfang 1897 bot Emile die Rechte an dem verbesserten Grammophon für den europäischen Markt seinem Bruder Joseph zum Kauf an. Dieser konnte sich jedoch nicht dafür entscheiden, seiner Telephonfabrik das nötige Kapital zum Aufbau einer Handelsorganisation zu entziehen. Berliner ernannte deshalb den Geschäftsmann William Barry Owen als Verkaufsagenten. Dieser reiste im Juli 1897 nach England und begann dort einen Grammophonvertrieb aufzubauen. Seine Waren erhielt er aus den USA und zahlte darauf Lizenzgebühren.     

Ab August 1897 verkaufte die Columbia Phonograph Company in den USA einen Walzenspieler, das “Eagle” Graphophon, für zehn Dollar. Frank Seaman, der um den Absatz des Grammophons mit Federmotor für fünfundzwanzig Dollar fürchtete, wollte den Konkurrenten frühzeitig aus dem Feld schlagen. Er versuchte die United States Gramophone Company mit Berliner als Präsidenten wiederholt davon zu überzeugen, ebenfalls ein billiges Gerät von Eldridge Johnson entwickeln zu lassen. Seaman hatte zudem eine Pressfabrik gefunden welche Schallplatten kostengünstiger herstellen konnte. Er wollte auch den Namen “Grammophon” ändern damit er nicht mit dem “Graphophon” des Konkurrenten verwechselt werden konnte. Seamans Vorschläge wurden jedoch konsequent abgewiesen, was ihn nicht nur viel Geld kostete, sondern auch zunehmend verbitterte, und schließlich in das Lager der Konkurrenz überwechseln ließ.
 
Noch ermöglichte es der geschäftliche Erfolg dass Berliner sich in sein Washingtoner Laboratorium zurück ziehen und an neuen Patenten arbeiten konnte. Ein Feuer zerstörte am 29. September 1897 einen großen Teil der Einrichtung sowie Berliners Aufzeichnungen. Er hatte unter anderem an einem neuen Aufnahmeverfahren gearbeitet bei dem der Stichel in eine massive Wachsplatte schnitt, um so das fehlerbehaftete Einätzen der Schallrille zu umgehen. Nach dem Umzug in neue Räumlichkeiten hat er diese wichtige Verbesserung leider nicht mehr aufgegriffen. Ende 1897 reiste Emile nach England und Deutschland um die Fortschritte bei der Vermarktung seines Grammophons zu überwachen und voran zu treiben. Kämmer & Reinhardt, die Lizenznehmer für das alte handbetriebene Grammophon wurden sehr wahrscheinlich ausbezahlt und die restlichen Warenbestände von Joseph Berliner übernommen.

Im März 1898 konnte Emile seinen Aktionären mitteilen dass es von nun an möglich war, Kopien von Pressmatrizen herzustellen. Zu diesem Zweck wurden besonders dicke Schallplatten aus einer Schellackmischung mit Hartgummianteil von einer frischen Matrize gepresst um davon weitere Matrizen galvanoplastisch herzustellen. Wenn die erste Matrize abgenutzt oder beschädigt war, konnte eine zweite oder dritte als Ersatz herangezogen werden um eine theoretisch unbegrenzte Anzahl von Kopien der Originalaufnahme herzustellen. Das System hatte Erfolg, im Jahr 1898 verkaufte Frank Seaman über 700.000 Schallplatten. Berliner dachte auch daran Schallplatten aus Hartgummi mit vorgeschnittener glatter Rille für Selbstaufnahmezwecke herauszubringen. Der scharf geschliffene Stichel der Aufnahmevorrichtung war etwas breiter als die vorgeschnittene Rille und sollte die Vibrationen dauerhaft einschneiden. Obwohl Berliner darauf ein Patent anmeldete kam es nie zur kommerziellen Nutzung. Ein weiteres ungenutztes Patent erhielt er für einen Tangentialtonarm. Erfolgreicher war das Multiphon, bei dem sechs Grammophone über einen Kettenantrieb mittels eines Elektromotors synchron angetrieben wurden. Mit dem Multiphon sollte eine höhere Lautstärke für Konzerte in großen Räumen oder im Freien erzielt werden.

Mitte 1898 begann Berliner immer klarer zu werden dass sich große Differenzen mit Frank Seaman anbahnten. Dieser schickte inzwischen immer weniger Grammophone und Schallplatten nach Europa, da er das dortige Geschäft mit einer eigenen Vertriebsorganisation abwickeln wollte. Emile sandte deshalb einen Aufnahmespezialisten nach London, und einen Fachmann für die Matrizenherstellung nach Hannover um dort den Aufbau und Betrieb einer Pressfabrik zu unterstützen. Anfang August 1898 wurden die ersten Tonaufnahmen in London gemacht und die geätzten Zinkschallplatten zwei Wochen später zur neuen Fabrik mit zunächst zehn Plattenpressen in einem Schuppen von Joseph Berliners Telephonfabrik in Hannover geschickt.  

Am 22. Oktober 1898 reichte die Columbia Phonograph Company gegen die National Gramophone Company von Frank Seaman und die Berliner Gramophone Company als Lizenzinhaber von Emile Berliners Patenten eine gerichtliche Klage ein. Die Klage betraf eine angebliche Patentverletzung im Zusammenhang mit der Grammophonschalldose.

Dessen ungeachtet gründeten die Brüder Joseph, Jacob und Emile Berliner am 6. Dezember 1898 eine kleine Handelsgesellschaft, die Deutsche Grammophon-Gesellschaft m.b.H., deren einziger Geschäftszweck der Betrieb der Schallplattenpresserei in Hannover war. Joseph Berliner ließ kurzfristig auch Schallplatten auf eigene Rechnung in Russland aufnehmen und plante das Grammophongeschäft in Kontinentaleuropa von Hannover aus zu organisieren. Er geriet jedoch umgehend in Konflikt mit William Barry Owen. Im Frühjahr 1899 reiste Emile deshalb nach England und Deutschland um den Streit zu schlichten. Als Ergebnis kauften Owen und seine Geschäftspartner alle Patentrechte und die Brüder Berliner erhielten zusätzlich Aktienpakete an einer neugegründeten Gesellschaft.

Nachdem Frank Seaman der Klage der Columbia Phonograph Company wegen Patentverletzung als berechtigt anerkannte und damit den Verkauf des Grammophons in den USA unterband, wurde Emile Berliner im Mai 1900 aus dem Geschäft gedrängt. Er verlagerte seine Aktivitäten nach Montreal, Kanada und unterstützte dort seinen ältesten Sohn Herbert beim Aufbau einer Pressfabrik. Seaman produzierte nun eigene Geräte, Zonophon genannt und wurde dafür mit einer Lizenz der Columbia Phonograph Company ausgestattet. Obwohl das Verkaufsverbot für Grammophone nach einigen Monaten wieder aufgehoben wurde, kehrte Berliner nicht zurück sondern verkaufte die Nutzungsrechte an seinen amerikanischen Patenten sowie seine Geschäftsanteile an die Victor Talking Machine Company, geleitet von Eldridge Reeves Johnson.

Die letzte mir bekannte Entwicklungstätigkeit Emile Berliners für das Grammophon, ein Patent für eine verbesserte Schalldose, ist für September 1902 dokumentiert. Kurz darauf, am 7. November 1902, erlosch sein deutsches Hauptpatent. Emile Berliners Name verschwand daraufhin von allen deutschen Plattenetiketten, Grammophonen und Schallplattenkatalogen, und geriet schließlich in Deutschland nahezu in Vergessenheit. 


© 2013 by Stephan Puille
Publiziert durch Norman Bruderhofer
Verlag für phonographische Themenbereiche, Aitrach